Wer kennt das nicht, das Gefühl genug zu haben von allem? Oder vielleicht haben Sie es beobachtet bei einem anderen Menschen? Sich zurückzuziehen, nichts sehen und hören wollen. Alles ist zu viel geworden. Die Bettdecke morgens kann gar nicht lang genug sein, um sie über den Kopf zu ziehen. Nur nicht aufstehen. Die Welt „da draußen“ wartet mit zu vielen Ansprüchen. Dies und jenes sind schon wieder zu erledigen. Das ist alles zu tun. Die Routine des Tages hilft nicht mehr darüber hinweg, dass Überforderung oder große Langeweile sich breit tun. „Muss das alles sein? Ich will eigentlich nur noch mit mir alleine sein, meine Ruhe haben. Alles andere ist mir egal!“
Eine alte Redewendung sagt: „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Sie findet sich bereits bei dem antiken römischen Dichter Ovid (+17n.C.) und will ausdrücken, dass selbst ein Stein verletzlich wird durch einen Wassertropfen, wenn er nur stetig darauf einwirkt. Später in seinem Leben drückt dieser Dichter es noch präziser aus, indem er schreibt: „Der Tropfen höhlt den Stein nicht durch Kraft, sondern durch stetes Fallen.“ Also nicht die Heftigkeit der Einschläge (im Leben) scheint entscheidend zu sein, sondern möglicherweise wird ein letzter Tropfen dafür sorgen, dass es durchschlägt und ein Stein ist durchlöchert (, ein Mensch liegt vielleicht am Boden). Die (seelischen) Belastungen sind in der Summe gesehen zu groß geworden.
Betroffene können es nachvollziehen. Sie spüren es körperlich, was es heißt, betroffen zu sein. Angehörige, Familienmitglieder, Freunde sind als Beobachter meist überfordert. Es macht hilflos. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit des Betroffenen springt über. Ratlos steht man da und gibt verzweifelt gut gemeinte Ratschläge. Meist verfehlen sie ihre Wirkung, da sie ja aus der eigenen Ratlosigkeit kommen. Verhaltensaufforderungen gehen ins Leere. Verstandeslösungen gelangen an ihre Grenzen.
Luise Reddemann, Fachärztin für Psychiatrie und Psychoanalytikerin, schreibt in ihrem Buch „Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“ (Freiburg, 2004): „Wenn Sie das Gefühl haben am Boden zu sein, (…), verurteilen Sie sich nicht dafür. Auch wenn Sie es nicht verstehen, warum es so ist, auch wenn Ihnen andere sagen, Sie hätten dieses oder jenes tun oder lassen sollen, dann wäre alles anders. Verurteilen Sie sich nicht.“ Verurteilungen lösen Schuldgefühle aus. Sie führen psychisch in eine Sackgasse und dadurch auch nicht weiter.
Verurteilen Sie bitte aber auch nicht das Verurteilen. Es ist menschlich. Möglicherweise drückt sich im Verurteilen des ein- oder anderen wie auch in den Ratschlägen lediglich der Wunsch nach Veränderung aus. Es sollte womöglich (wider die Hoffnungslosigkeit) einfach nur besser werden: Wieder Boden unter den Füßen spüren können. Die inneren Kräfte wieder sehen lernen. Sie spüren, sogar entwickeln und stärken lernen. Ja, das wäre es. Auferstehen mitten im Leben, das Leben wieder als Reise erleben. Ja, das ist es.