Die Hoffnung darauf, dass sich wohl ändern mag, was schwer zu tragen ist, gehört zu den elementaren Wünschen von Menschen. Wenn der Einfluss auf das Geschehen selbst nicht zu bewerkstellen ist, und auch die Hilfe anderer nicht vorstellbar oder vielleicht in weite Ferne gerückt zu sein scheint, dann kommt nach dieser Vergeblichkeit wohlmöglich letzte Hoffnung auf, dass es sich doch irgendwie wandeln möge: Schlechtes zu Gutem, Dunkles zu Hellem, Krankes zu Gesundem, Streit zu Versöhnung, Schweres zu Leichtem, Angst zu Vertrauen, Depressives zu Leichtmutigem, Zwanghaftes zu Freizügigem, Totes zu Lebendigem.
Wunder
Ein Wunder muss her, wenn auch der Glaube daran, alles andere als fest zu sein scheint. Es soll sich möglichst wieder zum Guten wenden. Verständlich. Raus aus dem Schmerz, raus aus der Dunkelheit. Und doch sind alle gegenteiligen Anteile, Teile desselben Ganzen. Keine Gesundheit ohne Krankheit, Keine Lebendigkeit ohne das Tote. Der Mediziner Tobias Esch schreibt in seinem Buch „Der Selbstheilungscode“ (Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit, München 2018), dass es ein statisches Gleichgewicht, genannt Homöostase, das es zu erhalten gilt, so in biologischen Systemen gar nicht geben würde. Alles sei in Bewegung und befände sich in einem dynamischen (beweglichen) Gleichgewicht, auch Allostase genannt.
Dynamisches Gleichgewicht
Einen 24h/365T – Dauerzustand von Depressivem, Ängstlichen, Zwanghaftem, Krankem, Schweren, Dunklem kann es im statischen (unbeweglichen) Sinne bei lebendigen Lebewesen nicht geben. Auch diese als extrem bewerteten Zustände seien in Bewegung. Es stellt sich die Frage, ob wir als Mensch in der Lage sind, die dynamischen Veränderungen wahrzunehmen. Oftmals haften wir in dem einen oder anderen Zustand fest und wollen (bei Gutem) oder können (bei Schlechtem) ihn nicht verlassen. So will dann auch der Wunsch verstanden werden, dass nur das Gute für uns als Zustand erstrebenswert sein mag und das andere in den Bereich der Verbannung gehöre.
Dualismus des Verstandes
Nun könnte es aber auch sein, dass diese gegenteiligen (dualistischen) Einteilungen, die Teil eines sich in Bewegung befindlichen Ganzen sind, zwingend von unserem Verstand benötigt werden, um Zustände oder Objekte als solches überhaupt identifizieren zu können. Wie sollte der Verstand benennen oder beschreiben können, ohne das Gegenteil, die Unterscheidung zu kennen: Kein Frieden ohne Krieg, keine Versöhnung ohne Streit, keine Gesundheit ohne Krankheit. Gesundheit kann es ohne Krankheit nicht geben. Die begriffliche Zuordnung macht es notwendig.
Gefühlsqualität
Wie sieht es allerdings daran anknüpfend mit der Gefühlsqualität aus, die wir damit verbinden? Welche Etikette geben wir dem? Ist Krankheit oder Gesundheit per se (aus sich heraus) bereits schlecht oder gut? Wir erinnern uns, Tobias Esch beschreibt mit der Stimme der Wissenschaft und dem aktuellen Stand der Forschung, wie Stress in uns entsteht, dass es keine statischen Zustände gebe. Wenn dem so ist, wäre es doch töricht zu behaupten, dass etwas gut oder schlecht sei. Vielleicht ist es einfach so, dass es einfach nur ist, weil es (Teil des Ganzen) ist. Möglicherweise ist es auch so, dass alles, wirklich alles ist, wie es ist, weil es einfach ist, zu uns dazugehört und sich sowieso dynamisch stets verändert. Nicht gut und nicht schlecht. Es ist einfach, wie es ist.
Allostase, das Erreichen von Stabilität durch Änderung
Die Kraft der Wandlung, als Prinzip der Allostase, scheint jedem Leben auf allen Ebenen des Seins innezuwohnen. Raupe und Falter belegen es. Metamorphose (Wandlung) geschieht. Ist in der Raupe der Falter nicht bereits angelegt? Sind Raupenspuren im Falter vorhanden? Ist die Welle nicht auch Teil des Meeres? Kommt es etwa auf Betrachtung und Zeitpunkt an, ob ich Welle oder Meer sage, Raupe oder Falter, Gesundheit oder Krankheit? Wenn dem so ist, dann sind alle (scheinbaren) Gegenteile sowieso verbunden und können damit aus sich heraus weder gut noch schlecht sein. Gutschlecht. Sie sind einfach eins. Gesund und krank zusammen. Gesundkrank. Lediglich der Verstand braucht die Unterscheidung.
MBSR
Außerhalb des Verstandes ist eine Trennung nicht notwendig, eher sogar hinderlich. Die Technik des MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction - Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) des Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn belegt eindrucksvoll, wie es durch gezielte Lenkung von Aufmerksamkeit gelingen kann, die vom eigenen Verstand vollzogenen Trennungen und Unterscheidungen in „gut“ und „schlecht zu überwinden, um das „Eins sein“ erspüren zu können. (Jon Kabat-Zinn, Gesund durch Meditation – das große Buch der Selbstheilung, 2011/2013 München). Durch dieses spüren lässt es sich erahnen, was gemeint sein kann. Vertrauen wir auf die bewegende Kraft der Wandlung, die jedem Lebendigen innewohnt. Sie ist Teil des Ganzen und führt stets ins Ganze.