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Muss man alles aufarbeiten im Leben?

Aufarbeiten; Leben; Krise, Lebenskrise; Gestern, Vergangenheit; Heute; Zukunft
Foto: CC0

Um es gleich vorweg zu sagen: nein. Es gleicht einer Illusion, sein ganzes Leben unter das Licht der Erkenntnis stellen zu wollen, im Glauben, dass dies der einzig sichere Weg ins Wohlbefinden sei. Woody Allen, amerikanischer Filmemacher, Lebenskünstler, selbsternannter Stadtneurotiker und mehr, behauptet: „Ich gebe meinem Psychiater noch 1 Jahr. Dann fahre ich nach Lourdes.“ Nicht ganz ernst gemeint von ihm und doch hat es einen spannenden Hintergrund. Die Hoffnung auf ein Wunder nach aller bisherigen Vergeblichkeit. Es soll offensichtlich etwas geschehen, was nicht mit eigenen Kräften zu schaffen ist und auch nicht in die Kompetenz irgendeines Therapeuten hineinfällt, was endlich das erhoffte Wohlbefinden herstellen soll. Denn genug ist irgendwann genug.

 

Gestern ist Vergangenheit

 

Der Wunsch ist ganz gut zu verstehen. Wer genug davon hat, immer wieder von der Vergangenheit eingeholt zu werden, sehnt sich regelrecht danach, eine Gegenwart ohne diese Spuren zu erleben. Wie gerne würde man poetisch und zugleich weise für sich sagen können: „Yesterday is history. Tomorrow is a mystery. Today is a gift. That´s, why we say, it is the present.“ Gestern ist vorbei. Das Morgen ist ein Geheimnis. Das Heute ist ein Geschenk. Deshalb sagen wir, sie ist ein Geschenk, das heute wahrgenommen werden will. (Frei übersetzt). Boah. Das wäre es. Mit Gelassenheit im Innern dies leben können.

 

Spuren der Vergangenheit

 

Die Spuren der Vergangenheit sind allerdings vielfältig. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass bis etwa zum dritten Lebensjahr, so ziemlich alles ungefiltert in uns einströmt, was in Bezug zu unseren wichtigsten Bezugspersonen steht. Es ist evolutionär in unserer Hirnstruktur so angelegt, weil es das Überleben sichern soll. Niemand kann etwas dafür. Im Idealfall entsteht auf diese Weise eine sichere Bindung zu Mutter und Vater und anderen wichtigen Bindungspersonen, was eine optimale Entwicklung ermöglichen soll. Aber es entstehen in der Realität nicht nur diese sicheren Formen von Bindungen.

 

Ideale Eltern

 

Wer kann von sich sagen, dass er ideale Eltern hätte oder gehabt habe? Schwierig. Nur in der Idealisierung entsteht (als seelischer Abwehrmechanismus) solch ein verklärter Blick auf die Vergangenheit. Wie nur können Eltern ideal sein, wo sie doch auch eigene Eltern hatten mit Stärken und Schwächen, an denen sie sich, gewollt oder auch nicht, orientieren mussten? Bis zum dritten Lebensjahr hat man keine Chance, dem zu entkommen. Anderseits soll uns die frühkindliche Amnesie davor schützen, dass dies später auf direktem Weg bewusst wird. Gut so. Sonst bräuchte es wirklich der idealen Eltern, was im Widerspruch zur Evolution stehen würde. Versuch und Irrtum wären dahingehend ausgeschlossen. Das Paradies, der Garten Eden, der Himmel, der Olymp oder wie auch immer, wären jetzt schon erreicht. Uff. Paradiesische Zustände in der Realität? Das zu Lebzeiten?

 

Spuren in die Zukunft

 

Das uns Unbewusste, legt seine Spuren in die Zukunft. So oder so. Macht es nicht gerade einfach. Fast nicht zu greifen und dennoch oftmals mit vielfältigen Auswirkungen. Und diese frühkindlichen Erfahrungen sind es ja bei weitem noch nicht alleine. Auch die spätere Kindheit, das Heranwachsen und das erste Erwachsensein bringen Prägungen mit, die uns als Introjektionen (von lateinisch intro - hinein; iacere - werfen), buchstäblich ganz schön im Magen liegen. Menschliches Schicksal einerseits. Chance der Entwicklung andererseits. Ganz im Sinne der Evolution, die Fortentwicklung, Wachstum, ihr Eigen nennt.

 

Chancen der Gegenwart

 

Es liegt eine ganz große Chance darin, immer wieder das und vielleicht auch nur das, sich anzuschauen, was offensichtlich wieder und wieder an die Oberfläche unseres Lebens kommen will. Daran wachsen lernen, statt zu scheitern, scheint Lebensaufgabe zu sein. Oftmals drückt sich das nach oben Kommende als Schwierigkeit aus. Oder es gleicht einem Stolperstein. Manchmal ist es auch nur ein Gefühl. Vielfach auch überhaupt nicht greifbar. Egal auf welche Weise es unser Leben beeinflusst. Eine Aufarbeitung kann gute Hilfe leisten. Sei es in einer Besinnungsform, im Alleinsein oder Rückzug, im Gebet, in einer Meditation, in der Natur, oder im Austausch mit einem anderen Menschen, der mich gut zu verstehen vermag. Dies kann Wunder bewirken. Es geschieht. Man kann es nicht „machen“. Wunder bleiben vor dem Verstand unerklärlich. Das Morgen, die Zukunft bleiben wohl geheimnisvoll. „Tomorrow is a mystery.“

 

Ihnen eine gute Gegenwart. „Today is a gift.“ Kommen Sie weiter gut durchs Heute und gut durch den Sommer. Das wünscht Ihnen von Herzen, die Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin.