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Darf ich an mich selbst denken?

Selbstliebe, Egoismus, I love me
I love me (Foto: CC0)

„Du denkst immer nur an Dich!“ So lautet ein häufig genannter Vorwurf an sein Gegenüber. „Egoist“. „Du bist egoistisch!“ Oh, Egoismus ist verpönt. Sich in den Vordergrund eigener Interessen stellen? Oh jeh, besser wohl nicht. Hinterlässt schale Gefühle einerseits und aggressive andererseits. Wer kennt die Situationen nicht, die ein schlechtes Beispiel für andere suggerieren: Auf der Autobahn die Überholspur ständig befahren, weil es nicht schnell genug geht. Den Reißverschluss nutzen an einer Baustelle, an den Wartenden vorbei. Vordrängeln an der Bäckereitheke. Sich in einer Warteschlange geschickt nach vorne schaffen. (Aktives Warten genannt). Mit den Ellbogen arbeiten, um vorwärts zu kommen. Beim Essen die größten Portionen abstauben. Bei Schnäppchen immer am schnellsten sein. Es ließe sich endlos fortsetzen. Allesamt sind es Beispiele ungeliebter Ichbezogenheit von Menschen, die sich in bestimmten Verhaltensweisen auszudrücken vermögen. Für Mitmenschen oftmals unangenehm. Dem betreffenden Ich wohl eher nicht. „Was ich und egoistisch?“ – „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Hoppla. Da geht’s bereits in die Rechtfertigung.

 

Was ist Egoismus?

 

Zunächst auf das Wort geschaut. Es bedeutet zum Ich (lat. Ego) eine Geisteshaltung (-ismus lat./griech. Nachsilbe) aufzubauen. Will heißen, sich seiner bewusst zu sein und dies reflektieren zu können. Im Sinne der Evolution ist diese Fähigkeit als Ausdruck des Überlebens zu sehen. Sie ist im Menschen angelegt und sorgt dafür, in der Gruppe, in Konkurrenz zu anderen, nicht unterzugehen. So gesehen ist sie eine natürliche Eigenschaft eines jeden, die für andere Menschen erst wahrnehmbar wird, wenn sie sich in Verhalten ausdrückt. Egoismus per se ist nicht schlecht, sondern berücksichtigt lediglich, dass man als Teil einer Gesellschaft, Gemeinschaft oder Gruppe nicht verlorengehen will. Das Individuum will überleben, braucht andererseits aber ein soziales Gefüge, weil wir Sozialwesen sind. Spannungen sind dadurch vorprogrammiert.

 

Selbstlosigkeit als Antwort?

 

Kein Begriff ohne Gegenbegriff. Natürlich auch im Falle des Egoismus. Er nennt sich Altruismus und bedeutet von der Wortherkunft: Altru- von lateinisch „alter“ der andere. –ismus, Sie erinnern, benennt eine Haltung. Altruismus – sich in erster Linie auf den anderen beziehen. Es würde so viel wie „Selbstlosigkeit“ bedeuten. Sie merken es schon. Dies würde in Reinkultur zur Auflösung des Ich führen. Man lebt nur für den anderen, überschreitet mitunter Grenzen, lebt fast im anderen. Kann verführerisch sein. Auch wenn man es im eigenen Ich fast nicht aushält. Als Extrem aber auf Dauer so wenig lebbar wie der Egoismus in Form von totaler Ich-Bezogenheit.

 

Balance finden

 

Es gilt, eine gute Ausgewogenheit zu finden zwischen einem selbstfürsorglichen Egoismus und einem mitfühlenden Altruismus. Einerseits sich um seine eigenen Stärken und Schwächen gefühlvoll kümmern und zum anderen dem Mitmenschen einfühlsam, liebevoll und absichtslos zu begegnen. Diese Haltung stellt natürlich ein Ideal dar. Sie ist in ihrer Vollkommenheit fast nicht umsetzbar, höchstens einmal punktuell und in Augenblicken. Wir sind Menschen und befinden uns in einem ständigen Fließgleichgewicht, körperlich wie psychisch/seelisch. Es kann keine dauerhaften oder statischen Zustände von Ich oder Du geben. Gott sei Dank. „I love me and you.“ That`s all. Eine Weiterentwicklung unsererseits wäre sonst fast ausgeschlossen.

 

Mut haben

 

Nehmen wir es als eine Herausforderung an, die das Leben an uns Menschen stellt, diesen Balanceakt immer wieder aufs Neue in uns zuzulassen. Versuchen wir statische, einseitige Dauerzustände der totalen Ich- oder Du- Bezogenheit zu überwinden. Es gelingt am besten, indem wir uns erinnern, dass es im Ich immer wieder ein Verlangen nach dem Ich wie dem Du gibt. Dieses Verlangen drückt sich in Bedürfnissen und Gefühlen aus. Lauschen wir und stärken wir unsere Sensitivität, unsere Empfindsamkeit, damit wir eine Chance bekommen, uns zu verändern. Wessen Weg blockiert erscheint, das Ich oder Du zu erkennen, wessen Gefühle oder Denken den Weg zu versperren scheinen, der kann gute Hilfe finden in einem Menschen des Vertrauens. Nur Mut. Es lohnt sich, das Gefängnis des Ichs oder die Besetzung des Du zu verlassen. Die Seele wird aufatmen. Beziehungen werden sich neu formen. „Per aspera ad astra“ – sagt ein lateinisches Sprichwort. „Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen.“ Sie sind zum Greifen nah. Leuchten wie Diamanten am Himmel. Weisen den Weg. Das Leben geht weiter. Es lohnt sich, sich weiterzuentwickeln. Immer.

 

Ein gutes Leben und eine gute innere Balance, in der Bezogenheit zum Ich wie zum Du, das wünscht Ihnen von Herzen, die Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin.