Ein Wortpaar, das unbedingt zusammengehört? Schuldig zu werden im Kontakt mit einem Mitmenschen, kann schnell geschehen. Wer kann schon von sich sagen, dass er im Zustand der ständigen Empathie gegenüber seinem Umfeld leben würde? Es stellt sich dann ja auch die Frage, wo man selbst bliebe, wenn die volle Aufmerksamkeit immer dem Gegenüber gelten würde. In diesem Extrem des Entweder Oder, also im Sinne von Schuld oder Unschuld, ganz dem Gegenüber sich zu widmen oder nur sich selbst, ist kaum vorstellbar zu leben. Schuld ist etwas, was geschieht, absichtlich und im Vorsatz, fahrlässig oder auch unbewusst. Sie ist im Kontakt unvermeidbar. Sühne oder Ignoranz müssen aber nicht die einzigen Konsequenzen sein.
Verletzungen
Hans Jellouschek, (*1939), deutsch-österreichischer Psychologe und Theologe, Psychotherapeut und Lehrtherapeut für Transaktionsanalyse in Tübingen, prägte in seinem Buch „Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen“ (Freiburg, 2011) folgende Aussage: „Bei allem Bemühen ist es … unvermeidlich, dass wir einander verletzen und so aneinander schuldig werden – gerade an den Menschen, die wir am meisten lieben, das ist unser Schicksal, dem wir nicht entkommen.“ Es scheint wohl so zu sein, dass die besondere Nähe zu einem Menschen immer auch die Gefahr birgt, ihn besonders zu verletzen: Fehlende Anerkennung oder Ausschluss des Gegenübers, Hinwegsehen über seine Bedürfnisse oder Gefühle, Sühne-, Rache- oder Bestrafungsabsichten, Gewalt, Instrumentalisierungsversuche, Missbrauch, Verzweckung usw. Die Auflistung ließe sich sicher fortsetzen. Nähe erhöht offensichtlich das Risiko der Verletzung. Vielleicht fallen Ihnen noch andere Varianten ein? Leben ist so vielfältig. Das Leiden inbegriffen. Beides ist individuell und verschieden.
Rückzug oder Bewusstheit
Die Frage stellt sich: Wie gehe ich mit dieser Erkenntnis um? Kein Kontakt, aus Angst am Mitmenschen schuldig zu werden? Schwer vorstellbar, noch schwieriger umzusetzen. Führt in die Vereinsamung. Kein Kontakt ist keine Lösung. Möglicherweise hilft aber die Bewusstheit weiter, grundsätzlich und auch absichtslos schuldig werden zu können, um die eigene Sensibilität dafür zu erhöhen. Sozusagen Vorsorge und Nachsorge treffen. Schuld und ihre Auswirkungen minimieren. Dies käme einer Konsequenz mit Entwicklungspotential gleich. Es würde auch helfen, den klassischen Gegenspieler der Schuld, die Sühne, aus ihrer dualen Zwangslage zu befreien. Sühne im Sinne von Buße, Vergeltung, Strafe oder Opfer wäre um eine wichtige Option reicher. Bewusstheit appelliert an die Gewissensinstanz, macht uns menschlich. Beides gehört zur menschlichen Wesensnatur. Das darf nicht vergessen werden. Bewusstheit wie auch Gewissen lassen sich schulen und reifen wie von selbst in der Schule der Erfahrung.
Gewissen als Weg
„Aug um Aug, Zahn um Zahn“ könnte in diesem Fall anders übersetzt werden als konventionell. Statt Vergeltung im gleichen Maße zu üben, im Sinne von „so wie du mir, so ich dir“, mit einer nie enden wollenden Spirale aus Gewalt, Verletzung, Gegengewalt, Verletzung usw. käme mit eingeschaltetem Gewissen und einer Bewusstheit hierfür, eine wichtige Entscheidungsmöglichkeit hinzu: Wenn du das Auge oder den Zahn des Gegenübers verletzt hast oder verletzen willst, so denke nachher/vorher darüber nach, wie es dir selbst damit ergehen würde. Dies könnte enorm helfen, dem menschlichen Schicksal der Schuld und dem Gegenpart der Sühne, öfter denn je zu entrinnen. Ein lohnenswerter Weg. Für einen selbst und für unsere Mitmenschen. Es macht uns Menschen vorsichtiger, umsichtiger, achtsamer. Vielleicht auch verständnisvoller, nachsichtiger und liebender. Diese Attribute schaffen eine veränderte Gegenwart und Zukunft. Vergangenes darf unter diesen Umständen endlich eine Ruhe in uns finden.
Ihnen alles Gute auf Ihrem persönlichen Lebensweg, ein mehr an Liebe, Vorsicht und Achtsamkeit, ein Vergessen schmerzhafter Vergangenheit, das wünscht Ihnen alles von Herzen, die Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin und Andreas Schlemmer, Heilpraktiker für Psychotherapie.