Hört sich auf den ersten Blick gar nicht so schlecht an, wenn man es liest. Denn mit Härte auf etwas Störendes, Unangenehmes zu reagieren, könnte doch ein patentes Überlebensrezept sein nach dem bekannten Motto: „Was dich nicht tötet, macht dich härter.“ So gesehen wäre es gar nicht schlecht, im Laufe seines Lebens härter zu werden. Es hätte den Klang von Abhärten im Sinne von unempfindlich werden. Also um ein richtiger Kerl oder eine gestandene Frau zu sein, um stark im Leben stehen zu können, wäre es demnach ratsam, eine gewisse Härte zu entwickeln. Härter werden, weil es dem Überleben dient. Spricht nicht auch die Evolutionsbiologie genau diese Sprache, wenn sie vom Überleben des Stärksten (survival of the fittest) spricht? Also richtig so? Oder meint sie damit vielleicht doch etwas anderes? Könnte mit Stärke womöglich gar nicht unbedingt nur Härte assoziiert sein, sondern vielleicht Anpassungsfähigkeit?
Gefahr
Die Natur lehrt dann auch eher diese Eigenschaft. Denn mit ausgeprägter Anstrengung, Härte oder Gewalt wächst oder gedeiht in ihr auf Dauer nichts. Nur wer/was sich situativ anpassen kann, hat entsprechende Überlebenschancen. Eine generelle Verhärtung oder Starre würde zum sicheren Absterben führen. In solch einem Aggregatzustand wäre auch ein Energiefluss nur schwer vorstellbar. So gesehen, wäre die Steigerung von hart als Lebensaufgabe zu sehen, nicht unbedingt erste Wahl. Die Gefahr einer Verhärtung ist sehr groß. Damit würde man sich selbst auf Dauer seiner kostbaren Lebensenergie berauben. Die Entfaltung, das Ausdrücken von Leben, Lebensfreude, Lebensmut, Teilhabe am Leben, Gemeinschaft und vieles andere mehr, wären damit weit unter ihrem wahren Potential.
Reaktion
Nicht immer hat der Weg der Härte allerdings einen selbstbestimmten Charakter. Oftmals wird das Hart sein im Leben gar nicht als aktiver Prozess gesehen, sondern eher als Reaktion auf ein Geschehen in der Umwelt. Lebensfeindliche Reaktionen von Mensch und Natur würden geradezu solch eine Härte provozieren. Es bliebe ja nichts anders übrig, als so zu reagieren, wollte man überleben. Das Leben spricht immer wieder diese Sprache der notgedrungenen Härte, weil sie natürlich eine Schutzfunktion haben kann. Sie sich aber auf Dauer zuzulegen oder gar zu steigern, käme nicht mehr dem notwendigen „Wundverschluss“ im Sinne einer Kruste gleich, sondern hätte dann eher den Charakter einer Rüstung oder eines Panzers. Opferrolle. Bewusst oder unbewusst. Passivität. Vom Leben scheinbar auferlegt. Man steckt mittendrin. Da kann Leben nur noch schwer ankommen und schwierig auch nur davon ausgehen. Fällte die „Kruste“ nicht ab, kann sich kein neues Leben entwickeln, kann keine Heilung sich vollziehen. Innen wie außen. Psychisch wie körperlich.
Reflektion
Im Januar, diesem Wintermonat, umgangssprachlich auch Hartmonat genannt, in dem die Natur ruht, in dem sie sich in einer zeitlich befristeten Härte befindet, bietet sich gute Gelegenheit, diese Struktur näher zu betrachten. Im Außen wie im Innern. Man darf sich z.B. die Frage stellen, ob die angelegte Härte noch aufrechterhalten werden muss? Oder ob eine Steigerung von Härte überhaupt ihre Notwendigkeit hat? Auch darf man sich fragen, welchen Preis man für diese Härte (in sich) zahlt? Stimmt (noch) das Kosten-/Nutzenverhältnis? Braucht es noch den Schutz oder die Abwehr? Schneide ich mich selbst mit dieser Härte vielleicht auch von anderem ab? Spüre ich bereits so etwas wie eine Rüstung oder eine Panzerung in mir? Isolation? Einsamkeit? Steifheit? Unbeweglichkeit? Was sagt mein Körper dazu? Wie geht es mir psychisch damit? Vielleicht ist die Zeit für eine Überprüfung des Härtegrades ja gerade jetzt angesagt. Innen wie außen. Körperlich wie psychisch.
Chance
Denn organisches Leben braucht immer wieder Weichheit zum Überleben, zur Entwicklung, zum Fortbestand und zum Wachstum. Permanenter Schutz und Abwehr führen zum Verschluss und zur Isolation. Durch Härte nämlich. Innen wie außen. Körperlich wie psychisch. Steinhart zu sein oder so zu werden ist eine menschliche Eigenart, die zum Schicksal werden kann. Der österreichische Schriftsteller Erich Fried (*1921+1988) drückt es mit einem Unterton von Ironie und vielleicht auch in gewisser Verbitterung so aus: „Zu den Steinen hat einer gesagt: "seid menschlich." Die Steine haben gesagt: "Wir sind noch nicht hart genug!“
Wünsche
Das ist ein Schlag. Ein Steinschlag fürs Menschsein. Dann doch lieber (wieder) ein wenig Weichheit in sich zulassen. Innen wie außen. Körperlich wie psychisch. Jeden Tag ein bisschen mehr. Dass Ihnen dies gelingen mag, das wünscht Ihnen von Herzen, das Team der Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin und Andreas Schlemmer, Heilpraktiker für Psychotherapie. Mit Härte und Gewalt wächst in der Natur nichts. Steine brauchen nicht zu wachsen. Zumindest nicht aus sich heraus. Menschen schon, damit sie leben.