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Du musst das Leben nicht verstehen

Rainer Maria Rilke: Du musst das Leben nicht verstehen
Foto: CC0

„Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.“

 

Ein Trost nicht nur in schwieriger Zeit. Wenn einem aber alles über den Kopf zu wachsen droht und die Gedanken sich bereits im Kreise drehen. Dann könnte dieser Gedanke besonders hilfreich sein. Sicher bietet er keinen Ersatz für Vorsichts- und Vorsorgemaßnahmen, auch nicht für notwendige Lösungsversuche. Aber er könnte befreiend wirken, wenn man sich im Versuch des Verstehens verfangen hat. Oftmals versucht man nämlich eine Logik in einem Geschehen ausfindig zu machen, ohne die geringste Chance, diese jemals zu entdecken? Und wie häufig versucht man die Ursachen für eine Reaktion herauszufinden, ohne sie wirklich zu begreifen? Genau dann könnte es ein Segen sein, dieses Verstehen vorerst aufzugeben. Besser dem Verstehen eine Pause auferlegen, als missmutig Schuldzuweisungen zu tätigen, aggressiv zu werden oder frustriert alles hinzuschmeißen. Lieber raus aus dem Müssen und Wollen des Begreifens, als weiter in völlig angespannter, verängstigter oder wütender Verfassung zu sein.

 

Pausieren und durchatmen. Kraft tanken. Sich auf sich selbst besinnen. Den eigenen Körper wieder wahrnehmen. Raus aus dem Kopf. Kontakt aufnehmen über die 5 Sinne mit seiner natürlichen Umgebung. Unmittelbar das Natürliche wahrnehmen. Es könnte einem Fest gleichen, aus der Anspannung dadurch in die Entspannung hineinzugelangen, trotz, ja trotz des ein- oder anderen Ärgernisses oder trotz eines kompletten Unverständnisses. Wieder sich selbst sein, inmitten des ganzen verworrenen Geschehens: eine Wohltat und sicherlich in dieser Bewusstheit kein Zeichen von Resignation. Die meisten Spuren von Frust, Ärger und Enttäuschung dürften dann schnellstens für eine Zeit lang verschwinden.

 

Stattdessen sollte man nun bereit sein für die vielen kleinen Geschenke, die sich über die Sinne einspielen fast wie von selbst. Dann lohnt es sich, diese augenblicklich wahrnehmen zu lernen, ohne sie unbedingt haltbar machen zu wollen. Das ist das Glück des Augenblicks. Eine Aufrechterhaltung ist nicht notwendig. Auch eine Aufbewahrung zu Vorratszwecken nicht. Denn es kommt wie es kommt, wieder und wieder. Garantiert. Nämlich immer dann, wenn es gelingen will, in diesen Modus zu gelangen: Raus aus dem Kopf und hinein in Körper und Wahrnehmung. Aufmerksam sein, wachsam sein, wahrnehmen und entdecken, trotz, ja trotz allem. Vielleicht könnte sich dies mit ein wenig Übung sogar zu einer Haltung im Leben entwickeln, die man gar nicht mehr aufgeben möchte.

  

Du musst das Leben nicht verstehen

 

 

Du musst das Leben nicht verstehen,

 

dann wird es werden wie ein Fest.

 

Und lass dir jeden Tag geschehen

 

so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen

 

sich viele Blüten schenken lässt.

 

 

Sie aufzusammeln und zu sparen,

 

das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

 

Es löst sie leise aus den Haaren,

 

drin sie so gern gefangen waren,

 

und hält den lieben jungen Jahren

 

nach neuen seine Hände hin.

 

 

Rainer Maria Rilke

 

(8.1.1898, Berlin-Wilmersdorf)