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0G, 2G, 2G+, 3G. R2G, Jamaika, Ampel…

0G, 2G, 2G+, 3G. R2G, Jamaika, Ampel - Blogbeitrag der Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin
Foto CC0

Sonst noch Abkürzungen gefällig? Oder genug davon? Wir leben offensichtlich in einer Welt der Verkürzungen und wenn gesprochen wird, in einer Welt des Zerredens: „Das Schlimme an den Rednern ist, dass sie nicht sagen, worüber sie sprechen.“ (Heinz Erhardt). Wir verbleiben mit sprachlichen Reduzierungen in der Welt der Erscheinungen, der Phänomene, der Symptome und spekulieren mit viel reden darüber, wie man auf dieser Ebene am besten dies oder jenes tut, damit es nicht zu schlimm oder vielleicht auch wieder besser wird.

 

Hintergründe

 

Wer wagt es aber dahinter zu schauen? Wer wagt es zu erwähnen, worüber Psychologen, Soziologen, Philosophen, Historiker und Vertreter anderer geisteswissenschaftlicher Disziplinen in diesem Zusammenhang sprechen: Sie beschreiben die Vielfältigkeit der Ursachen von Politikverdrossenheit, von Extremismus, von Querdenkertum, von Wissenschaftsfeindlichkeit, von Impfskepsis, von Willkürempfindungen, von Gewalt, von Machtansprüchen, von Ängsten und durchschreiten damit die Oberfläche der vielfach wie formelhaft nachgebeteten Redebeiträge in Talkrunden, Internetforen, Messengerdiensten und öffentlichen Auftritten.

 

Handlungsspielraum

 

Wird dieser Sachverstand nicht berücksichtigt, verbleibt man mit 0G, 2G, 2G+, 3G in der Passivität derer, die sich der Situation ausgeliefert fühlen. Da bleibt nicht viel an Handlungsspielraum. Mach es oder mach es nicht. Tue es oder tue es nicht. Folge oder folge nicht. Denke geradeaus oder nicht. Anerkenne Wissenschaft oder nicht. Lass dich impfen oder nicht. Sei offen für Gegenwehr oder nicht. Sei machtvoll oder nicht. Wo liegt da noch die Freiheit der Entscheidung? Genügt es denn, ja oder nein zu sagen, dafür oder dagegen zu sein? Muss man wirklich in der Dualität zweier Möglichkeiten bleiben? Gibt es denn wirklich nur ein Ja oder Nein? Vielleicht auch noch ein resignierendes: Weiß nicht, Unentschieden, Enthaltung?

 

Ursachen

 

Wenn man außen vor lässt, dass eine jede Erscheinung auch ihre Ursachen haben muss, da bleibt es bei diesen Möglichkeiten. Wirft man den Blick jedoch auf das, was die Entstehung und vor allem das Wachstum dieser Phänomene in der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unserer Zeit erst ermöglicht, ergeben sich andere Handlungsansätze. Der Philosoph Byung-Chul Han schrieb in seinem Aufsatz „Kapitalismus und Todestrieb“ (Berlin, 2019), dass das, was wir heute Wachstum nennen, in Wirklichkeit ein Auswuchs sei, eine „karzinomatöse Wucherung“, die den „gesellschaftlichen Organismus“ zerstöre. Mit einer „unerklärlichen, tödlichen Vitalität“ metastasierten und wucherten diese Auswüchse endlos weiter. Ab einem bestimmten Punkt sei alles nicht mehr produktiv, sondern destruktiv. Diese „Destruktivkräfte“ brächten nicht nur „ökologische oder soziale, sondern auch mentale Katastrophen“ hervor.

 

Wachstum

 

Soweit Byung-Chul Han. Endloses Wachstum, ein immer Mehr und Mehr, um den Erhalt und das Fortschreiten der bestehenden Ordnung eigentlich zu ermöglichen, fördere in Wahrheit eher wohl die Entstehung und Weiterverbreitung dysfunktionaler, zerstörender Prozesse, die dieser Ordnung wohl das Leben nehmen könnten. Absurd? Oder vielleicht doch nicht? Dann könnte man ja manche Pandemie, Katastrophe und deren Folgen als Produkt zerstörerischer Prozesse sehen? Durchaus möglich. Slavoj Zizek, Professor für Philosophie und Psychoanalyse sagt: „Menschen sind nicht einfach lebendig, sie sind besessen von dem seltsamen Trieb, das Leben exzessiv zu genießen, und hängen leidenschaftlich an einem Überschuss, der hervorsticht und den normalen Gang der Dinge zum Scheitern bringt.“ (Slavoj Zizek, Parallaxe, Frankfurt, 2006)

 

Exzessives

 

Ja, wenn das so sein könnte, dass das Exzessive, das Ungezügelte, das Unersättliche in der menschlichen Natur, in seiner DNA als Wesenszug verankert sein sollte, stellt sich die Frage, was ich als Einzelner tun kann, um (zumindest für mich) diesem Prozess entgegenzusteuern? Beruhigt und ohne Aufregung nachfolgende Fragen beantworten: Impfen ja/nein? Jamaika oder Ampel oder andere Bündnisse akzeptieren oder nicht? 2G, 2G+, 3G oder 0G sein? Oder gibt es vielleicht doch noch andere Möglichkeiten? Könnte ich zunächst meine Haltung zum Leben überprüfen mit der Folge, dass mein eigenes Verhalten mehr und mehr in Richtung Nachhaltigkeit sich orientieren würde? Also nicht mehr mein eigenes Wohlbefinden, im Sinne exzessiven Lebens, als absolut setzen zu wollen, sondern mich als Teil eines großen Ganzen begreifen zu lernen?  

 

Haltung

 

Auch wenn ich mich in diesem Fall zunächst als übervorteilt oder benachteiligt einschätzen würde, könnte es dennoch sein, dass meine Haltung, mein Verhalten Schule macht. Vielleicht könnte es auch direkt Einfluss nehmen auf meine seelische Gesundheit. Sobald der Handlungsspielraum sich vergrößert, wird es Einfluss nehmen auf die Resilienz, auf die Widerstandsfähigkeit meines Ichs, meiner individuellen Existenz in der Pluralität dieser Gesellschaft. Oder anders ausgedrückt: Je stabiler, desto krisenfester, durch die Höhen und Tiefen des Lebens gehen, weil man statt der Aussichtslosigkeit der Situation einen inneren Handlungsspielraum erkennt.

 

Handlungsspielraum

 

Handlungsspielraum statt Hilflosigkeit und Ohnmacht. Ein probates Mittel bei der Bewältigung von Krisen. Auch hilfreich in Bezug auf Depressionen, Stimmungstiefs und Ängsten. Von den Abkürzungen, an dem Zerreden vorbei, hinein in die Tiefe der Entstehungsprozesse von Symptomen, Erscheinungen und Phänomenen und daraus Schlüsse ziehen, die mein individuelles Denken, Fühlen und Handeln verändern könnten. Nachhaltigkeit statt Zügellosigkeit. Dies könnte mir zum Wohle geschehen und Einfluss haben auch auf das Wohl der Menschen, mit denen ich zusammenlebe.

 

Wünsche

 

Alles Liebe und Gute hierzu auf Ihrem persönlichen Weg durchs Leben, wünscht Ihnen von Herzen, das Team der Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin und Andreas Schlemmer, Heilpraktiker für Psychotherapie.