Alles ist Leben - Letzte Fragmente einer langen Reise (Christine Singer, München, 2011)

Ein berührendes Buch, geschrieben im Tagebuchformat mit den Stationen einer letzten Reise. Beschrieben wird der Weg des Abschieds aus dem Leben, der Weg des Abschieds von dieser Welt. Traurig, schmerzlich und zugleich unfassbar schön. Christine Singer findet wundervolle Worte des Friedens und der Liebe für das, was einem sonst vielleicht den Atem rauben oder was einem als Schrei durch die Kehle gehen würde: die Diagnose unheilbar krank zu sein.

Stattdessen formuliert sie solche Worte: „Liebe Freunde, leider muss ich meine Seminare und Vorträge absagen. Ich werde demnächst operiert – und die Diagnose ist ernst. Ich würde mich freuen, wenn Ihr diese Nachricht so aufnehmt, wie ich es getan habe; mit offenem Herzen und ohne Urteil.“

Wenige Tage später stellt sie für sich ernüchternd fest, dass nach schwieriger OP und der Entfernung des Tumors nunmehr für sie selbst eigentlich nicht zu tun sei und sie auch nirgendwo hingehen müsse, um etwas zu tun: „Nothing to do, nowhere to go.“ Erstaunlich umso mehr, weil sie auch jetzt nicht weglaufen möchte von all dem, in die Arbeit, in den Alltag beispielsweise, so wie es ein Impuls sein könnte und sie auch nicht kämpfend sagt, sie stelle sich der Krankheit. Nein sie nimmt es mit aktiver Gelassenheit hin: „Ich habe den Ort erreicht, an dem nicht mehr mein Leben, sondern das Leben Vorrang hat. Er ist ein Raum von unermesslicher Freiheit.“

Weise und schaurig schön. Jedes Kapitel ihrer Reise, menschlich und literarisch eine Aufforderung selbst nachzuvollziehen, sich selbst dem zu stellen, was passieren kann und wird oder vielleicht schon geschehen ist. Lässt man sich darauf ein, meint man fast, ihre beschriebenen Gefühle, ihre Stimmungen und die weisen Worte im eigenen Körper wie einen Widerhall verspüren zu können.

Ein Buch zum Meditieren. Leben pur. Offen, ehrlich, mutmachend. Kostproben: „Denn das Leben beginnt dort, wo alle Kategorien entfallen.“ … „Die wirklich Lebenden sind ohne Alter.“ … „Prachtvoll ist das Leben. Und elend dieser Morgen. Diese beiden Eigenschaften existieren in ihrer Spannung nebeneinander.“ … „Ich schwöre es Euch. Wenn nichts mehr da ist, dann herrscht nur noch Liebe. Dann ist nur noch Liebe. Alle Dämme brechen. … Bis dahin habe ich geglaubt, Liebe sei Verbundenheit. … Aber das alles geht weiter! … Jenseits des Schlimmen erwartet Dich die Liebe,“

Absolute Leseempfehlung. Das Vermächtnis einer großen Frau, eines großartigen Menschen: Tapfer, mutig, weise, voller Liebe. Christine Singer, eine Vermittlerin zwischen den Welten: „Ich glaube, dieses Buch hat wirklich sein ganz eigenes Licht. Was für eine Gnade war es für mich, ihm den Weg zu bereiten!“ Sie verstarb kurz bevor es veröffentlicht wurde.

(Taschenbuch) 143 S.