Im Teufelskreis der Lust
Im Teufelskreis der Lust - Raus aus der Belohnungsfalle (Ingo Schymanski, Stuttgart, 2015)
In diesem Buch wird zu einem hochkomplexen Thema eine interessante Hypothese aufgestellt. Sie klingt so einfach und plausibel, dass selbst dem Autor Bedenken kommen, ob sie auch in Zukunft wissenschaftlicher Kritik standhalten wird:
Es geht um das sogenannte "Wohlfühlparadoxon". Es entstehe, was verständlich sei, wenn Menschen versuchten, sich durch eine erweiterte Aktivität (Genüsse, Bewegung, Kalorien, Drogen etc.) aus ihrer inneren Unruhe zu befreien.
Dieses Unwohlsein sei aber eher eine Folge eines Ungleichgewichtes im Regelkreis des Nucleus accumbens (Lust- und Belohnungszentrum im Mittelhirn), was auf diese Art nicht ausgeglichen werden könne. Das natürliche Zusammenspiel zwischen den Botenstoffen GABA, Glutamat und Dopamin sei nämlich bereits gestört infolge chronischer psychovegetativer Erregung oder Erschöpfung. Dies führe unweigerlich zu einer ungewollten erweiterten Habituation (Gewöhnung) und Desensibilisierung bzw. Besetzung von Rezeptoren dieser Botenstoffe im synaptischen Spalt. Entschleunigung statt Beschleunigung sei daher die einzige Alternative, um raus aus der Belohnungsfalle zu gelangen.
Diese Hypothese erlaubt einen anderen verstehenden Blick - aus psychologischer und neurobiologischer Sicht - auf eine Reihe von Erkrankungen und Zuständen: Depression, Sucht, ADS, ADHS, Borderline, Autismus, Stress, Schizophrenie u.a.m. Aber auch Medikamente, wie z.B. die Benzodiazepine, und deren Wirkung auf die GABA-Rezeptoren erscheinen unter dieser These in ganz neuem Licht.
Spannend. Kritisch. Kontrovers. Absolut lesenswert. Eine interessante Perspektive mit diversen Lösungsansätzen für das Do-it-yourself.
(Taschenbuch, 264 S.)
Wer tiefer einsteigen möchte in dieses Thema: Eine Vorlesung von Prof. Dr. med. Carl Conrad Wilde zur zerebralen Erschaffung der Normalität und ihre Störungen: