Seelenhunger - Vom Sinn der Gefühle
Seelenhunger - Vom Sinn der Gefühle (Daniel Hell, Freiburg, 2007)
Gefühle als unsinnig, unnötig oder gar unmännlich darzustellen, wird einem im Leben immer wieder bei Menschen begegnen, die ihr eigenes Gefühlsleben abblocken, abtun oder nicht wahrhaben wollen, da sie es als störend empfinden. Gefühle könnten vermutlich hinderlich sein, wenn man rein rational und starr erfolgsorientiert, im Leben unterwegs sein will. Sie könnten aber auch stören, weil sie an Verletzungen oder traumatische Erlebnisse erinnern könnten. Wie auch immer.
Dieses Buch macht jedenfalls offenkundig, weshalb es von Nachteil sein kann, Gefühle nicht, oder wenn überhaupt bestenfalls mit „Kopf und Verstand“, also distanziert und objektiviert, wahrzunehmen. Denn durch die fehlende „Leib und Seele“ Wahrnehmung gehe ein wichtiger Sensor zur Steuerung des eigenen Seelenlebens verloren. Die Seele, das eigene Denken und Fühlen, körperlich wahrzunehmen, könne enorm wichtig werden, wenn oder bevor das Leben aus der Mitte herausgerät. Schicksalsschläge, Brüche im Leben, psychische Krisen, psychische Störungen, Krankheiten und Auffälligkeiten, verlangten geradezu danach, hinzuhören und hinzuschauen, was das eigene Innere mitzuteilen hat.
Gefühle seien daher nicht nur sinnvoll, sondern sogar lebensnotwendig, meint Daniel Hell, Mediziner, Psychiater und Psychotherapeut, langjähriger Klinikleiter. Für die Therapie, für eine Heilung, sei neben den spezifisch wissenschaftlichen Erkenntnissen vor allem das subjektive Erleben eines Menschen von Bedeutung, weil abgewertete oder versteckte oder abgeblockte Gefühle einen (Lebens-)Raum benötigten, um einen Menschen wieder „ganz“, um ihn wieder heil an „Leib und Seele“, um ihn wieder gesund werden zu lassen.
Dieses Buch liefert ein großes Plädoyer dafür hinzuschauen, statt wegzuschauen. Angst, Wut, Traurigkeit, Scham, Ekel und Freude seien menschliche Grundgefühle, die eine große Aussagekraft im persönlichen Erleben eines Menschen hätten. Würden sie unterdrückt, schaue man weg, laufe man in Gefahr, daran zu erkranken. Die sich einstellenden Symptome könnten vielfältiger Art sein. Eine Heilung werde umso wahrscheinlicher, je mehr man dem Unterdrückten Raum geben würde.
Ängste, Zwänge und vor allem Depressionen wie auch Psychosen seien in hohem Maße verknüpft mit unterdrückten Gefühlen. Ihnen Sprache zu verleihen, sei ein notwendiger Schritt, um einen Weg in Richtung Heilung gehen zu können. Psychisch erkrankten Menschen sei daher unbedingt ihr Gefühlsleben, ihre Seele zurückzugeben. Abgespaltene Gefühle würden dahingehend entfremden und an der Seele krank machen.
Ein wunderbares Buch. Wissenschaftlich und genau. Gut konzipiert mit fachtheoretischem Teil und konzeptioneller Klärung. Großer praktischer Teil mit ausführlichen Erläuterungen und Erklärungen zu Angst, Traurigkeit, Ekel, Scham und Depression.
Man könnte fast sagen, dass es sich um ein Grundlagenwerk handelt in Bezug auf Gefühle und seelische Gesundheit. Absolut lesenswert. Geeignet für Betroffene, die selbst einmal bei sich dahinter schauen möchten, wie auch für alle an seelischer Gesundheit Interessierte. Wenn man sich angesprochen fühlt: unbedingt lesen. Es wird eine Bereicherung sein.
(Taschenbuch) 254 S.